Sonntag, 15. Januar 2006
von der idylle zum kitsch
kulturchronist, 20:48h
Mit Wort und Musik startete das Festival „tonart“
Von Jürgen Hartmann - Rezension für die Esslinger Zeitung (Konzert am 15.01.2006)
„Zustand eines friedlichen und einfachen Lebens, in meist ländlicher Abgeschiedenheit“, so charakterisiert der Fremdwörterduden den Begriff „Idyll“. Mit „Idyllen“ (das wiederum sind künstlerische Beschreibungen jenes Zustands) beschäftigt sich derzeit das Festival „tonart“ in Esslingen. Das Thema in Wort und Musik umrissen haben die vier Vorstände des neu gegründeten Trägervereins und zwei Gastkünstler bei der sonntäglichen Eröffnung der dreiwöchigen Veranstaltungsreihe im Kaisersaal des Amtsgerichts.
Albrecht Imbescheid, Klaus Sebastian Dreher, Bernard Tewes und Frank Wörner dürften sich über den Zuspruch des Publikums für das aus Wort und Musik gemischte Programm gefreut haben. In einem lockeren, pointierten Vortrag arbeitete Tewes eine im modernen Bewusstsein eher verdrängte Bedeutung der Idylle heraus – jene des Gegenentwurfs, der nicht nur träumerisch ein besseres Leben heraufbeschwört, sondern auch politische Alternativen enthalten kann. Allerdings, so warnte Tewes: „Es sind und bleiben Bilder“ – zwischen Wirklichkeit und Idylle befinde sich notwendig eine „unsichtbare Mauer“. Versuche man diese niederzureißen, begebe man sich auf das Niveau der „tränentreibenden Trivialliteratur“ und lande beim Kitsch.
Mit solcherart geschärften Sinnen hörte man George Crumbs abschließende Komposition „An Idyll fort he Misbegotten“ von 1985 nicht mehr ganz unvoreingenommen. Die dem Stück zu Grunde liegende, sozusagen ur-grüne Idee des Widerspruchs von unschuldiger Natur einschließlich Tierwelt einerseits und einer zerstörerischen Menschheit andererseits scheint ein wenig angestaubt, und die schematische musikalische Darstellung dieses Gegensatzes tut ihr Übriges, um das Stück zum Zeugnis einer Ideologie von gestern werden zu lassen: Unschuldig-hilflos zwirbelt die Flöte herum, mal dunkel-dräuend, mal aggressiv fahren die Schlagzeugbatterien hinein, und zum Schluss keimt leise (Flöten-)Hoffnung: Das ist in der Tat kitschgefährdet, wenngleich von Albrecht Imbescheid und den drei Schlagzeugern Klaus Sebastian Dreher, Michael Kiedaisch und Jürgen Spitschka sachkundig und makellos musiziert.
Da waren die Kompositionen von zwei der Festivalchefs ehrlicher, geradliniger. Imbescheids von 1981 datierendes Stück „Agnayah“, vom Komponisten mit drei verschiedenen Flöten gemeinsam mit Dreher am Schlagzeug vorgestellt, beginnt freundlich und klangschön, um im zweiten Teil recht drastisch zu werden. Dabei werden Schlagzeug und Flöte viel differenzierter eingesetzt als bei George Crumb. Aus Drehers Oeuvre stellten der Bariton Frank Wörner und Michael Kiedaisch am Schlagzeug die Vertonung von drei Gedichten Erich Mühsams vor, einem 1934 von den Nationalsozialisten ermordeten linken Publizisten. Die Tradition des Kunstlieds leugnet Dreher nicht, silbengetreu und sparsam hat er Mühsams Texte in Musik gesetzt. Höchst individuell jedoch gestaltete der Komponist die Begleitung und ersetzte das traditionelle Klavier durch ein Vibraphon – so erhielten die von Frank Wörner textverständlich und klangschön vorgetragenen Lieder eine besondere, geheimnisvolle Aura.
http://www.esslingen.de/servlet/PB/show/1192998/Tonart2006.pdf (Programm als pdf-Datei)
Von Jürgen Hartmann - Rezension für die Esslinger Zeitung (Konzert am 15.01.2006)
„Zustand eines friedlichen und einfachen Lebens, in meist ländlicher Abgeschiedenheit“, so charakterisiert der Fremdwörterduden den Begriff „Idyll“. Mit „Idyllen“ (das wiederum sind künstlerische Beschreibungen jenes Zustands) beschäftigt sich derzeit das Festival „tonart“ in Esslingen. Das Thema in Wort und Musik umrissen haben die vier Vorstände des neu gegründeten Trägervereins und zwei Gastkünstler bei der sonntäglichen Eröffnung der dreiwöchigen Veranstaltungsreihe im Kaisersaal des Amtsgerichts.
Albrecht Imbescheid, Klaus Sebastian Dreher, Bernard Tewes und Frank Wörner dürften sich über den Zuspruch des Publikums für das aus Wort und Musik gemischte Programm gefreut haben. In einem lockeren, pointierten Vortrag arbeitete Tewes eine im modernen Bewusstsein eher verdrängte Bedeutung der Idylle heraus – jene des Gegenentwurfs, der nicht nur träumerisch ein besseres Leben heraufbeschwört, sondern auch politische Alternativen enthalten kann. Allerdings, so warnte Tewes: „Es sind und bleiben Bilder“ – zwischen Wirklichkeit und Idylle befinde sich notwendig eine „unsichtbare Mauer“. Versuche man diese niederzureißen, begebe man sich auf das Niveau der „tränentreibenden Trivialliteratur“ und lande beim Kitsch.
Mit solcherart geschärften Sinnen hörte man George Crumbs abschließende Komposition „An Idyll fort he Misbegotten“ von 1985 nicht mehr ganz unvoreingenommen. Die dem Stück zu Grunde liegende, sozusagen ur-grüne Idee des Widerspruchs von unschuldiger Natur einschließlich Tierwelt einerseits und einer zerstörerischen Menschheit andererseits scheint ein wenig angestaubt, und die schematische musikalische Darstellung dieses Gegensatzes tut ihr Übriges, um das Stück zum Zeugnis einer Ideologie von gestern werden zu lassen: Unschuldig-hilflos zwirbelt die Flöte herum, mal dunkel-dräuend, mal aggressiv fahren die Schlagzeugbatterien hinein, und zum Schluss keimt leise (Flöten-)Hoffnung: Das ist in der Tat kitschgefährdet, wenngleich von Albrecht Imbescheid und den drei Schlagzeugern Klaus Sebastian Dreher, Michael Kiedaisch und Jürgen Spitschka sachkundig und makellos musiziert.
Da waren die Kompositionen von zwei der Festivalchefs ehrlicher, geradliniger. Imbescheids von 1981 datierendes Stück „Agnayah“, vom Komponisten mit drei verschiedenen Flöten gemeinsam mit Dreher am Schlagzeug vorgestellt, beginnt freundlich und klangschön, um im zweiten Teil recht drastisch zu werden. Dabei werden Schlagzeug und Flöte viel differenzierter eingesetzt als bei George Crumb. Aus Drehers Oeuvre stellten der Bariton Frank Wörner und Michael Kiedaisch am Schlagzeug die Vertonung von drei Gedichten Erich Mühsams vor, einem 1934 von den Nationalsozialisten ermordeten linken Publizisten. Die Tradition des Kunstlieds leugnet Dreher nicht, silbengetreu und sparsam hat er Mühsams Texte in Musik gesetzt. Höchst individuell jedoch gestaltete der Komponist die Begleitung und ersetzte das traditionelle Klavier durch ein Vibraphon – so erhielten die von Frank Wörner textverständlich und klangschön vorgetragenen Lieder eine besondere, geheimnisvolle Aura.
http://www.esslingen.de/servlet/PB/show/1192998/Tonart2006.pdf (Programm als pdf-Datei)
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