Mittwoch, 18. Januar 2006

der weg zum olymp
Der Geiger Leonidas Kavakos ist einer der wenigen Klassikstars aus Griechenland

Von Jürgen Hartmann - Artikel für das Magazin der Berliner Philharmoniker

In den vergangenen zwei Jahren haben die Griechen einigen Wirbel erzeugt. Im Sommer 2004 sorgten sie für „die größte Sensation der Fußballgeschichte“ (so eine Fachzeitschrift) und wurden Europameister; nur wenige Wochen später ließ die wundervolle Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Athen alle Querelen und Probleme vergessen, die die Vorbereitung des sportlichen Großereignisses begleitet hatten. Und im Nachklang dazu gewann Griechenland im Frühjahr 2005 den Eurovision Song Contest und bereitete der aus Kiew zurückkehrenden Siegerin Helena Paparizou einen rauschenden Empfang.

Diese schöne Helena kann in ihrer unterhaltsamen Branche auf Landsleute mit Namen wie Mouskouri, Mercouri und den immer zwischen den Sphären schwebenden Mikis Theodorakis blicken. In der so genannten „Ernsten Musik“ hingegen ist Griechenland nicht gerade überrepräsentiert. Zugegeben: Die Sterne der Callas und der Baltsa strahlen hell, der Dirigent Dmitri Mitropoulus wird von vielen Kennern hoch geschätzt.

Und es gibt den Geiger Leonidas Kavakos, der sich in den 80-er Jahren von Athen aus auf den Weg zum internationalen Ruhm machte. Der 38-Jährige beklagt, dass die musikalische Begabung griechischer Kinder nicht ausreichend gefördert werde. Angehenden Profis fehlten außerdem die Orchester, um sich zu vervollkommnen. „Und natürlich verbinden die Griechen, wenn man das so pauschal sagen kann, mit Musik vor allem Volksmusik“, sagte Kavakos, der im Februar mit den Philharmonikern das Violinkonzert von Johannes Brahms musizieren wird, kürzlich in einem Interview.

Ihm selbst hat die Herkunft aus der Volksmusik nicht geschadet. Kavakos’ Großvater und Vater geigten Populäres, und der Herr Papa war der erste Lehrer des fünfjährigen Leonidas. Zwischendurch gerieten sich Kavakos senior und sein selbstbewusster Sohn allerdings immer wieder so in die Haare, dass der Vater ihn zu Stelios Kafantaris am Athener Konservatorium schickte. Mit 18, das war 1985, gewann Leonidas den Sibelius-Wettbewerb, weitere renommierte Preise folgten, darunter 1988 der Sieg beim Paganini-Wettbewerb – dem einzigen, den Kavakos laut eigener Aussage wirklich gewinnen wollte.

Mangelnder Ehrgeiz war es aber nicht, der den Geiger noch ein wenig an der Schwelle der großen Konzertsäle verharren ließ. Energisch vertritt Kavakos seine Auffassung, dass ein Künstler Zeit zum Entwickeln, zum Reifen haben müsse. Das höre nie auf und brauche die Fähigkeit zur Ausdauer: „Eine gesunde Unsicherheit“ hält der Musiker für unabdingbar.

Besonders in seinen Solo-Recitals drückt sich das in einer vielfältigen Programmatik aus. Leonidas Kavakos reist nicht mit brillianten Schaustücken um die Welt, sondern ist ständig auf der Suche nach neuem Repertoire. Ein Abend im New Yorker Lincoln Center im Frühjahr mag dafür typisch sein: Der Geiger spielte Bach, Schumann, Bartók und George Enescu. Gerade dieser zu Unrecht vernachlässigte rumänische Komponist des 20. Jahrhunderts liegt Kavakos am Herzen. Immer wieder setzt er ihn aufs Programm und hat einige seiner Werke auf CD eingespielt.

Leonidas Kavakos macht sich also viele Gedanken. Das kann man hören, ohne dass sein Spiel vergrübelt wäre. „Künstlerische Integrität“ und „makellose Technik“ bescheinigen ihm die Kritiker. Eine Journalistin gab sich erstaunt darüber, dass der körperlich ihrer Meinung nach „grob geschnitzte“ Grieche seiner Geige Töne entlockt, die an seine göttlichen Landsleuten aus antiker Vorzeit gemahnten. Nun kann man über körperliche Merkmale unterschiedlicher Meinung sein, aber in Erstaunen versetzte Kavakos’ Technik auch objektivere Experten: Der berühmte Violinpädagoge Joseph Gingold soll das Bewerbungstonband des jungen Geigers einem Tontechniker zur Begutachtung gebracht haben, weil er das dort zu hörende Tempo eines Paganini-Stücks für unausführbar hielt und Manipulation vermutete.

Stolz ist Leonidas Kavakos auf sein Instrument, eine „Falmouth Stradivari“ von 1692, die er vor neun Jahren erwerben konnte. Die relativ lange Geige aus der so genannten „zweiten Schule“ von Stradivari erzeugt einen dunklen Klang, mit dem Kavakos sich besonders wohl fühlt. Im Notfall kann Kavakos indes sehr spontan handeln. Bei einem Auftritt während der „BBC Proms“ riss eine Saite, und der Geiger spielte Alban Bergs Violinkonzert kurzerhand mit dem Instrument des Konzertmeisters weiter – was dem Dirigent angeblich gar nicht auffiel…

Spontan und vor allem mutig mutet auch der Entschluss des jungen Virtuosen an, kurz vor der Teilnahme am Naumburg Wettbewerb 1988 in New York seine Spieltechnik grundlegend zu verändern und zur „russischen Schule“ zu wechseln. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass es Zeit war, es zu versuchen“, erklärt Kavakos den waghalsigen Schnitt, der ihm einen weiteren 1. Preis eintrug. Neben dieser Technik, die beim Strich nicht das Auf und Ab betont, sondern ein ebenmäßiges Hin- und Herstreichen anstrebt und damit das Eigengewicht des Arms gleichmäßig einsetzt, sind es aber wohl auch die Wurzeln in der griechischen Folklore und die Affinität zur barocken Musik, die Leonidas Kavakos auf seinem Instrument so ungewöhnlich deutlich sprechen lassen. Dass er dabei auch noch „cool“ aussieht, gefällt dem einen mehr, dem anderen weniger. Der Geiger erklärt das damit, dass es ihm nicht auf äußerlichen Effekt, sondern auf innere Energie ankomme: „So kann ich mit weniger Anstrengung ein besseres Ergebnis erzielen.“

Seit einiger Zeit ist Leonidas Kavakos auch als Dirigent tätig, vor allem mit der Camerata Salzburg. Dort ist er seit 2001 „Principal Guest Artist“ – eine ungewöhnliche Position, die dem Künstler nicht nur Soloauftritte, sondern auch Programmgestaltung und Dirigate ermöglicht. Die Berliner Philharmoniker luden Kavakos erstmals im Mai 2003 zu einem Aufsehen erregenden Debüt ein. Das nun anstehende Brahms-Konzert beschreibt Kavakos gleichsam aus lokalpatriotischer Sicht: „Es ist romantisch, ist dynamisch, frei in seinem Ausdruck und vor allem vielschichtig. Ein Werk olympischen Ausmaßes – es ist so, als würde man auf den Olymp steigen.“

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