Sonntag, 22. Januar 2006
ernsthaft, konzentriert und nervenstark
kulturchronist, 20:04h
Constantinos Carydis hat an der Staatsoper Glucks „Alceste“ einstudiert
Von Jürgen Hartmann - Beitrag für die Stuttgarter Zeitung (21. Januar 2006)
Ein Wahlkampf lässt sich mit dem Begriff „Reform“ nicht mehr gewinnen. Denn die Erkenntnis, dass man nicht weitermachen kann wie immer, mündet nicht zwangsläufig in der Bereitschaft, Veränderungen willkommen zu heißen. Auch auf einem Gebiet, das zum Experimentieren geradewegs einzuladen scheint, dem Theater, waren die beharrenden Kräfte von jeher stark. Aber das Neue setzte sich schließlich immer wieder durch – Christoph Willibald Glucks „Reformopern“, von denen die 1767 in Wien uraufgeführte und neun Jahre später für Paris runderneuerte „Alceste“ die vielleicht wichtigste ist, wurden zum strahlenden Vorbild von musikalischen Umwälzern wie Hector Berlioz und Richard Wagner. Und es ist kein Zufall, dass Leopold Mozart dieses Werk „traurig“ fand, während es seinen erst elfjährigen Sohn Wolfgang tief beeindruckte. Noch stärker als die Wiener Erstversion nähert sich die Pariser Umarbeitung der Vision Glucks von einer zwischen Dichtung und Musik wahrhaft ausbalancierten Oper.
Heute Abend kommt diese französische Fassung von Glucks „Alceste“ in Stuttgart auf die Bühne, wo das Werk – wie andernorts – jahrzehntelang nicht auf dem Spielplan stand. „Aber vielleicht kommt das Stück ja wieder in Mode“, meint Constantinos Carydis, 1. Kapellmeister der Staatsoper und Dirigent der Neuproduktion. Immerhin habe sein Kollege Ivor Bolton die „Alceste“ gerade erst bei den Salzburger Festspielen vorgestellt. Auch in Paris und Brüssel hat es in den letzten Jahren Aufführungen gegeben, aber im Vergleich zum populären „Orfeo“ führt „Alceste“ nach wie vor ein Schattendasein.
„Es ist ein anspruchsvolles Werk“, sagt Carydis, für den die „Alceste“ nach dem letztjährigen „Wildschütz“ die zweite Stuttgarter Premiere und die erste Auseinandersetzung mit Gluck überhaupt ist. Der 31-jährige Grieche, den die Kritiker immer wieder für die außerordentliche Klangtransparenz seiner Einstudierungen loben, beschreibt die musikalischen Farben der „Alceste“ als eine Palette „von schwarz über halbschwarz und dunkelgrau bis grau“. Beinahe „minimalistisch“ gehe der Komponist vor, man spüre die „sehr persönliche Auseinandersetzung“ Glucks mit dem Stoff, der auf eine Tragödie von Euripides zurückgeht. Dieser Prozess war auch nach der halbwegs erfolgreichen Wiener Premiere nicht zu Ende – Gluck überarbeitete „Alceste“ so gründlich, dass die Pariser Fassung von 1776 eigentlich ein ganz neues Stück ist.
Bei der Probenarbeit mit dem Staatsorchester habe man festgestellt, dass Christoph Willibald Glucks Musik recht anstrengend für die Musiker sei, erzählt der Dirigent. Man brauche „Konzentration und Nerven“; gerade die orchesterbegleiteten Rezitative dürften die notwendige Spannung nicht verlieren. Dabei sei die musikalische Struktur ungemein filigran und empfindlich. „Jede überflüssige Bewegung, jede unnötige Geste kann da stören“ – fast scheint es, als riefe sich Constantinos Carydis, der im Gespräch bescheiden bleibt, am Dirigentenpult jedoch temperamentvoll auftrumpfen kann, auf diese Weise selbst zur Zurückhaltung auf.
Nach seiner Münchner „Carmen“, für die Carydis vom Premierenpublikum wie ein Star bejubelt wurde, konnte man in der Zeitung lesen, der Dirigent gehe Bizets Werk wie ein Experte für Alte Musik an. Carydis schmunzelt über diese Einschätzung, will aber gerade bei Gluck kein „wissenschaftliches“ Prinzip walten lassen. „Wir orientieren uns an der historischen Praxis, soweit das mit modernen Instrumenten gelingt“, erläutert er. Wichtiger ist ihm ein „leichter, transparenter Klang“, der die „erzählende Rolle des Orchesters“ über die Begleitfunktion hinaus erfahrbar machen soll.
Bei den Regisseuren Jossi Wieler und Sergio Morabito weiß der Dirigent die szenische Seite der neuen Stuttgarter „Alceste“ in guten Händen. „Ich glaube, wir haben die gleichen Absichten“, meint Carydis und freut sich darüber, dass in der Inszenierung die „psychologische Substanz“ des Werkes zur Geltung kommt. Der Eindruck, dass man mit dem gewichtigen Stück respektvoll und sorgfältig umgeht, fügt sich ein in das Finale von Klaus Zeheleins Stuttgarter Opernintendanz und darüber hinaus in die Zeitläufte ganz im Allgemeinen. Übrigens durchaus im Sinne Glucks: Der schrieb 1775 an seinen Textdichter Le Blanc du Roullet, die „Alceste“ beabsichtige „keine Zerstreuung, sondern ernsthafte Beschäftigung.“
Premiere „Alceste“ heute um 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen: 24./28. Januar, 1./4./7./10./22./25. Februar und 2. März. Catherine Naglestad singt die Titelrolle, Donald Kaasch debütiert als Admète. Constantinos Carydis wird an der Staatsoper Stuttgart im März und April darüber hinaus noch neun Vorstellungen von Bellinis „Norma“ dirigieren.
http://www.staatstheater.stuttgart.de
Von Jürgen Hartmann - Beitrag für die Stuttgarter Zeitung (21. Januar 2006)
Ein Wahlkampf lässt sich mit dem Begriff „Reform“ nicht mehr gewinnen. Denn die Erkenntnis, dass man nicht weitermachen kann wie immer, mündet nicht zwangsläufig in der Bereitschaft, Veränderungen willkommen zu heißen. Auch auf einem Gebiet, das zum Experimentieren geradewegs einzuladen scheint, dem Theater, waren die beharrenden Kräfte von jeher stark. Aber das Neue setzte sich schließlich immer wieder durch – Christoph Willibald Glucks „Reformopern“, von denen die 1767 in Wien uraufgeführte und neun Jahre später für Paris runderneuerte „Alceste“ die vielleicht wichtigste ist, wurden zum strahlenden Vorbild von musikalischen Umwälzern wie Hector Berlioz und Richard Wagner. Und es ist kein Zufall, dass Leopold Mozart dieses Werk „traurig“ fand, während es seinen erst elfjährigen Sohn Wolfgang tief beeindruckte. Noch stärker als die Wiener Erstversion nähert sich die Pariser Umarbeitung der Vision Glucks von einer zwischen Dichtung und Musik wahrhaft ausbalancierten Oper.
Heute Abend kommt diese französische Fassung von Glucks „Alceste“ in Stuttgart auf die Bühne, wo das Werk – wie andernorts – jahrzehntelang nicht auf dem Spielplan stand. „Aber vielleicht kommt das Stück ja wieder in Mode“, meint Constantinos Carydis, 1. Kapellmeister der Staatsoper und Dirigent der Neuproduktion. Immerhin habe sein Kollege Ivor Bolton die „Alceste“ gerade erst bei den Salzburger Festspielen vorgestellt. Auch in Paris und Brüssel hat es in den letzten Jahren Aufführungen gegeben, aber im Vergleich zum populären „Orfeo“ führt „Alceste“ nach wie vor ein Schattendasein.
„Es ist ein anspruchsvolles Werk“, sagt Carydis, für den die „Alceste“ nach dem letztjährigen „Wildschütz“ die zweite Stuttgarter Premiere und die erste Auseinandersetzung mit Gluck überhaupt ist. Der 31-jährige Grieche, den die Kritiker immer wieder für die außerordentliche Klangtransparenz seiner Einstudierungen loben, beschreibt die musikalischen Farben der „Alceste“ als eine Palette „von schwarz über halbschwarz und dunkelgrau bis grau“. Beinahe „minimalistisch“ gehe der Komponist vor, man spüre die „sehr persönliche Auseinandersetzung“ Glucks mit dem Stoff, der auf eine Tragödie von Euripides zurückgeht. Dieser Prozess war auch nach der halbwegs erfolgreichen Wiener Premiere nicht zu Ende – Gluck überarbeitete „Alceste“ so gründlich, dass die Pariser Fassung von 1776 eigentlich ein ganz neues Stück ist.
Bei der Probenarbeit mit dem Staatsorchester habe man festgestellt, dass Christoph Willibald Glucks Musik recht anstrengend für die Musiker sei, erzählt der Dirigent. Man brauche „Konzentration und Nerven“; gerade die orchesterbegleiteten Rezitative dürften die notwendige Spannung nicht verlieren. Dabei sei die musikalische Struktur ungemein filigran und empfindlich. „Jede überflüssige Bewegung, jede unnötige Geste kann da stören“ – fast scheint es, als riefe sich Constantinos Carydis, der im Gespräch bescheiden bleibt, am Dirigentenpult jedoch temperamentvoll auftrumpfen kann, auf diese Weise selbst zur Zurückhaltung auf.
Nach seiner Münchner „Carmen“, für die Carydis vom Premierenpublikum wie ein Star bejubelt wurde, konnte man in der Zeitung lesen, der Dirigent gehe Bizets Werk wie ein Experte für Alte Musik an. Carydis schmunzelt über diese Einschätzung, will aber gerade bei Gluck kein „wissenschaftliches“ Prinzip walten lassen. „Wir orientieren uns an der historischen Praxis, soweit das mit modernen Instrumenten gelingt“, erläutert er. Wichtiger ist ihm ein „leichter, transparenter Klang“, der die „erzählende Rolle des Orchesters“ über die Begleitfunktion hinaus erfahrbar machen soll.
Bei den Regisseuren Jossi Wieler und Sergio Morabito weiß der Dirigent die szenische Seite der neuen Stuttgarter „Alceste“ in guten Händen. „Ich glaube, wir haben die gleichen Absichten“, meint Carydis und freut sich darüber, dass in der Inszenierung die „psychologische Substanz“ des Werkes zur Geltung kommt. Der Eindruck, dass man mit dem gewichtigen Stück respektvoll und sorgfältig umgeht, fügt sich ein in das Finale von Klaus Zeheleins Stuttgarter Opernintendanz und darüber hinaus in die Zeitläufte ganz im Allgemeinen. Übrigens durchaus im Sinne Glucks: Der schrieb 1775 an seinen Textdichter Le Blanc du Roullet, die „Alceste“ beabsichtige „keine Zerstreuung, sondern ernsthafte Beschäftigung.“
Premiere „Alceste“ heute um 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen: 24./28. Januar, 1./4./7./10./22./25. Februar und 2. März. Catherine Naglestad singt die Titelrolle, Donald Kaasch debütiert als Admète. Constantinos Carydis wird an der Staatsoper Stuttgart im März und April darüber hinaus noch neun Vorstellungen von Bellinis „Norma“ dirigieren.
http://www.staatstheater.stuttgart.de
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