Dienstag, 24. Januar 2006

mehr als ersatz
Die Feuerwehr-Aktion der Ewa Kupiec - Rezension für die Stuttgarter Zeitung (Konzert am 23. Januar 2006)

Bei ihrem vorigen Stuttgarter Auftritt hatte Hélène Grimaud ihr Publikum ein knappes Stündchen warten lassen, dieses Mal sagte die Pianistin mittags ihr Konzert in der Liederhalle ganz ab. Es grenzt an ein Wunder, dass die Konzertdirektion Russ innerhalb von Stunden eine Vertretung organisieren konnte, die der Französin an Klasse nicht nachsteht: Ewa Kupiec fegte jegliche Enttäuschung über die (un)kollegiale Absage rasch aus dem voll besetzten Saal.

Aus Grimauds Programm, das am 20. Februar nachgeholt werden soll (Karten bleiben gültig), übernahm die Polin Frédéric Chopins b-Moll-Sonate. Zusammen mit dem nachfolgenden, anlässlich Chopins Tod entstandenen „Funérailles“ von Franz Liszt gestaltete sie einen ernsten ersten Konzertteil. Der in beiden Werken im Mittelpunkt stehenden Trauer gewann Kupiec eine außerordentliche Ausdrucksvielfalt ab. Von wildem Schmerz bis zu sanfter Verklärung kostete sie jede Nuance aus, ohne je den musikalischen Bogen zu vernachlässigen.

Diese leichthändige Verbindung von Feinarbeit und großer Geste bereicherte nach der Pause ebenso Claude Debussys gar nicht so kindlichen Zyklus „Children’s Corner“, mit dessen jazzigen Schlussstück „Golliwog’s Cakewalk“ Ewa Kupiec die Herzen des Publikums endgültig gewann. Nach Igor Strawinskys „Petruschka“-Ausschnitten schließlich pure Begeisterung – zu Recht, denn den lange Zeit als schwerstes Klavierwerk überhaupt geltenden Dreiteiler spielte die Pianistin ohne sicht- oder gar hörbare Anstrengung, donnerte die orchestralen Partien und verlor dennoch nicht die Seelenruhe, um die lyrischen Passagen auszukosten.

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