Samstag, 7. Januar 2006

im Schutz der künstlerischen heimat
Zwei „Kapellmeister“ im besten Sinne: Franz Welser-Möst und Donald Runnicles

Von Jürgen Hartmann - Beitrag für das Magazin der Berliner Philharmoniker (soeben veröffentlicht)

Unsere südlichen Nachbarn haben schon besondere Gewohnheiten. Hätten Sie gewusst, dass es einen „Auslandsösterreicher-Weltbund“ gibt? Und dass dieser den „Auslandsösterreicher des Jahres“ wählt? Die Auszeichnung „auf Grund hervorragender Leistungen bzw. besonderer Verdienste für das Image Österreichs im Ausland“, so beschreibt es die Organisation auf ihrer Internetseite, erhielten beispielsweise die Schauspieler Karlheinz Böhm und Maximilian Schell und der Automanager Ferdinand Piech. Auslandsösterreicher des Jahres 2001 wurde Franz Welser-Möst, seinerzeit noch Chefdirigent der Oper Zürich und noch nicht ganz Musikdirektor des Cleveland Orchestra. Inzwischen ist er letzteres noch immer und ersteres erneut – wobei sein Titel in Zürich nunmehr „Generalmusikdirektor“ lautet; eine Position, die eigens für ihn neu geschaffen wurde und die er im Herbst 2005 angetreten hat.

Vor vier Jahren hatte der 1960 in Linz geborene Orchesterchef schon einiges hinter sich: Eine schwierige Amtszeit als Musikdirektor des London Philharmonic Orchestra drohte zunächst seinen internationalen Ruf zu beschädigen, den er aber mit seiner intensiven Arbeit in Zürich rasch wieder aufpolierte. Sehr früh, mit knapp dreißig, war Welser-Möst in das „Haifischbecken“ – so nennt es ein Kenner – der britischen Hauptstadt eingetaucht. Der Wechsel vom Konzertorchester zu einem Opernhaus war insofern nicht ohne Risiko: So mancher Musentempel entpuppt sich bei näherem Hinsehen ebenfalls als Raubfisch-Aquarium. Nicht so Zürich. Dort zeigte sich der Intendant Alexander Pereira als fürsorglicher Impresario, der seinem Chefdirigenten eine qualitativ hochwertige Arbeit ermöglichte, ihm in Sachen Quantität indessen nichts schenkte: 27 neue Produktionen hat Welser-Möst in seiner ersten Zürcher Amtszeit von 1995 bis 2002 geleitet, darüber hinaus Wiederaufnahmen und Konzerte.

Das ist sind für einen weltweit gefragten Dirigenten rekordverdächtig. Aber auch Donald Runnicles – sechs Jahre älter als Welser-Möst und bisher nicht zum „Auslandsschotten des Jahres“ gewählt, obwohl der in Edinburgh Gebürtige überwiegend in Deutschland und den USA Karriere gemacht hat – ist ein Musiker, der Wert auf eine künstlerische Heimat legt. Seit 1992 ist Runnicles Musikdirektor der San Francisco Opera und hat dort rund 30 Neuinszenierungen dirigiert. Nur wenige Jahre zuvor hatte der Dirigent seinen internationalen Durchbruch bewirkt, als er innerhalb von Stunden für James Levine einsprang und an der New Yorker Met eine Vorstellung von Alban Bergs „Lulu“ übernahm. Dafür prädestinierten ihn jene „Kapellmeistertugenden“, über die manchmal hochnäsig gespottet wird, die aber für den musikalischen Betrieb unverzichtbar sind und Höchstleistungen erst ermöglichen: disziplinierte Ruhe, wache Genauigkeit und ein Gespür für die künstlerische Gemeinschaft aller Beteiligten.

Als Donald Runnicles in den 80er-Jahren Opernkapellmeister in Hannover, konnte man als aufmerksamer Besucher sehr wohl spüren, dass der Dirigent es auch beim soundsovielten Repertoire-„Freischütz“ schaffte, dem Theateralltag das gewisse Etwas zu injizieren. Hannover war für Runnicles das Scharnier zwischen der als Korrepetitor begonnenen Tätigkeit am Nationaltheater Mannheim und der folgenden Zeit als Generalmusikdirektor des Freiburger Theaters. Diese harte Schule dürfte ihm den Weg nach San Francisco und an die Pulte großer Symphonieorchester geebnet haben.

Gemeinsam haben Franz Welser-Möst und Donald Runnicles auch eine weitere Eigenschaft, die den guten „Kapellmeister“ auszeichnet: Sie sind nicht auf ein enges Repertoire festgelegt. Beide haben sich in ihren Zeiten als Opernchef viele Werke neu erarbeitet, beide sind offen für Zeitgenössisches. Runnicles studierte soeben in San Francisco die neueste Oper von John Adams ein, und Welser-Möst macht das Cleveland Orchestra immer wieder mit modernen Stücken vertraut. Und vielleicht ziemt es sich für den „Kapellmeister“ an sich auch, dass zwar nicht alle, aber doch viele Wege nach Wien führen? Jedenfalls war der Österreicher Welser-Möst, der bereits 1987 an der Wiener Oper debütierte, in den letzten Jahren immer wieder für höchste Weihen im heimatlichen Musikleben im Gespräch und ist für die Saison 2007/08 als Dirigent des neuen „Rings“ angekündigt. Runnicles pflegt zur Oper der österreichischen Hauptstadt seit 1991 eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung, die kürzlich in der Einstudierung des „Parsifal“ einen weiteren Höhepunkt hatte. Mit den Berliner Philharmonikern knüpften beide Dirigenten erst verhältnismäßig spät den Erstkontakt. „Hohe Sachkenntnis“ und „bemerkenswerte Übersicht“ bescheinigte ein Kritiker Welser-Möst bei seinem Debüt im Januar 2002, und nach Runnicles’ ersten Erscheinen am Philharmonikerpult mit Brittens „War Requiem“ freute sich Ende 2003 die Morgenpost über einen „philharmonischen Glücksgriff“.

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gar kein mozart
Das Stuttgarter Kammerorchester spielt zum Auftakt des Mozartjahres: Bach und nur Bach - Rezension für die Stuttgarter Zeitung (veröffentlicht heute)

War es eine bewusste Pointe oder den Sachzwängen geschuldet, dass das Stuttgarter Kammerorchester zum Jahreswechsel zwei reine Bach-Konzerte gab? Für diejenigen, die angesichts des Mozart-Geburtstagsrummels schon jetzt einen gewissen Überdruss verspüren, waren die Brandenburgischen Konzerte, die das Ensemble am Dreikönigstag im Mozartsaal musizierte, wie ein frischer Wind.

Dass man dabei das erste der „Concerts avec plusieurs instruments“ wegließ, fällt nicht ins Gewicht, da Johann Sebastian Bach die Werke ohnehin nicht als geschlossenen Zyklus komponierte. Auch als Fünferpackung zeigen die Brandenburgischen Konzerte, wie meisterhaft Bach mit den Möglichkeiten wechselnder Instrumentalkombinationen spielte – und wie viel Spaß es macht, einem guten Ensemble bei deren Ausführung zuzuhören.

Konzertmeister Benjamin Hudson brauchte sich nicht als Chef hervorzutun. Das Ensemble funktioniert in dieser Besetzung auch ohne Dirigenten reibungslos, die hinzugebetenen Solisten fügen sich nahtlos ein. Dass man den vorzüglichen Flötistinnen Gaby Pas-van Riet und Christina Singer auch das 4. Brandenburgische Konzert anvertraute, das bei Blockflöten besser aufgehoben ist, dreht zwar die Uhr der historisch informierten Aufführungspraxis zurück, minderte aber das Hörvergnügen kaum. Virtuos, dabei immer auf das kollegiale Zusammenspiel orientiert, meisterten auch Sabine Bauer am Cembalo und der Trompeter Reinhold Friedrich ihre solistischen Aufgaben.

„Aus Bachs glücklichster Zeit“ stammten die Brandenburgischen Konzerte, betonte Intendant Max Wagner bei seiner Begrüßung. Der frischgebackene junge Chef hatte dabei wohl auch die Zukunftshoffnungen der Musiker im Sinn. Deren Qualitäten hätte man kaum besser ausstellen können als mit diesem Programm. Und ins Mozartjahr taucht das Ensemble noch früh genug ein: am 20. Januar mit dem Geiger Kolja Blacher.

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